DeutschlandWesterhausen/Sachsen Anhalt

Trauerrede zur Beisetztung des sowjetischen Kriegsgefangenen in Westerhausen am 15. April 2016 Pfarrer Christoph Carstens Sehr verehrter Herr Bürgermeister Heintze, sehr geehrte Frau Schusser, sehr geehrter Herr Nowak, liebe Westerhäuser, verehrte Gäste, ein Friedhof heiß so, weil auf ihm Frieden herrschen soll. Das wird dadurch erleichtert, dass – wie das Sprichwort sagt – im Tode alle gleich sind. Auf dem Friedhof können wir alle eingedenk werden, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist, andere nach uns kommen werden und unsere Arbeit eines Tages vergessen sein wird. Der Friedhof mit seinen Gräbern erinnert aber auch daran, dass uns andere vorangegangen sind in Freud und Leid, in Freiheit und Schuld. Nach der sorgfältigen Bergung des Leichnams eines unbekannten Soldaten aus seinem halb-heimlichen Grab am Königstein ist der Platz für sein Grab nun unser Friedhof. Das ist gut so, denn das drückt auch aus, dass es eine Gemeinschaft gibt zwischen denen, die hier in langer Reihe ihrer Vorfahren ruhen und jenen, die durch Not, Krieg, Vertreibung hierher gekommen sind und, als sie starben, hier zur Ruhe gebettet wurden. Der Friedhof trägt uns auf, Frieden zu halten – nicht nur über ihren Gräbern sondern auch im Gedenken an ihre bekannten und unbekannten Lebensgeschichten. Und bei einem Kriegsopfer dürfen wir hinzufügen: Nach der Verheißung der Bibel erwarten wir die Zeit, in der die Menschen ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden werden und die Spieße zu Sicheln machen und kein Volk mehr gegen das andere das Schwert erheben wird und sie „hinfort nicht mehr lernen werden, Krieg zu führen" (Jesaja 2). Als europäische Nation tragen wir solche Verheißungen nicht als Zierde durch die Zeiten sondern als festen Glaubensgrundsatz. Auch wenn in Krieg und Kampf viele Menschen sich in gerechter Weise opfern und Gefahr, Verletzung, Gefangenschaft und Tod nicht scheuen – Frieden erlangen kann dadurch allein niemand. Auch das sollen uns die so genannten Kriegergräber auf unserem Friedhof sagen: Macht nie wieder Krieg! Tragt den traurigen Frieden der Gräber in einen fröhlichen Frieden der Lebenden! Sprecht miteinander, statt aufeinander zu schießen! Und – weil die wenigsten von uns in die Situation geraten werden, auf einen Gegner die Waffe zu richten – : Lernt die Kunst des kleinen Friedens! Dann wird es hoffentlich eines nicht allzufernen Tages keine frischen Kriegsgräber mehr geben. Und ein jeder wird sein Grab dort bekommen, so die Menschen seine Sprache sprechen. Ich danke den Verantwortlichen der Stadt, dass sie die Bestattung des unbekannten Soldaten hier bei uns in der Gemeinde ermöglichen. Und ich danke dem Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa für den Einsatz hier in Westerhausen im vergangenen Jahr. Möge Gott uns allen die Kraft und Phantasie wecken, über den Kriegsgräbern zum Frieden zu finden. Dass der Soldat inzwischen kein Unbekannter mehr ist, hat sich erst im weiteren Verlauf der Veranstaltung am 15. April ergeben. Es handelt sich um den Kriegsgefangenen Peter Bondavenko aus der Ukraine. http://www.mz-web.de/landkreis-harz/beisetzung-auf-westerhaeuser-friedhof-in-thale-ein-toter-erhaelt-namen-zurueck-23895726 Pfarrer Christoph Carstens Evangelische Kirchengemeinden Quedlinburg und Westerhausen Trauerrede zur Beisetztung des sowjetischen Kriegsgefangenen in Westerhausen am 15. April 2016 Stefan Nowack Geschäftsführer VBGO e.V. Vor etwas über einem Monat war ich auch hier in Westerhausen zu einer Trauerfeier in der hiesigen Kirche. Es war der Trauergottesdienst für den verstorbenen Arnhold Sinna, unseren Zeitzeugen und wichtigen Hinweisgeber für unsere Suche am Königstein. Es war eine würdige Trauerfeier zu einem sehr traurigen Anlass. Heute sind wir alle auf den Friedhof von Westerhausen gekommen um wieder eine Trauerfeier zu halten. Ebenfalls zu einem traurigen Anlass, denn wir müssen einen Menschen bestatten. Niemand von uns geht gern zu Beerdigungen. Aber wie ich finde, bietet dieser Tag auch einen Grund zur Freude. Denn wir können und wollen diese Trauerfeier heute durchführen. Wir können und wollen heute einen Menschen würdevoll bestatten, der fast in Vergessenheit geraten wäre. Kurz vor dem Versterben der letzten Zeitzeugen ist es allen Beteiligten gemeinsam gelungen, diesen Menschen in unsere Erinnerung und unser Gedenken zurück zu holen. Siebzig Jahre nach den damaligen Geschehnissen war es uns möglich die Suche und Exhumierung am Königstein durchzuführen. Diejenigen die dabei waren werden sich an diesen Tag erinnern. Einen ganzen Tag haben der Kriegstote vom Königstein und wir miteinander verbracht. In dieser Zeit haben wir viel von ihm erfahren, durch das was er an persönlichen Dingen bei sich trug. Der Bleistiftstummel, das provisorische Feuerzeug als Zeichen der Not – die Marienanhänger als Zeichen der Hoffnung. Er hat uns eigentlich alles hinterlassen was er hatte und damit auch viele Hinweise auf seine Identität. Und diese Dinge waren vielleicht seine einzige Habe und einzige Hoffnung der Nachwelt seinen Namen und seine Geschichte zu übermitteln. Wir wissen von ihm, dass er das schwere Los eines sowjetischen Soldaten und Kriegsgefangenen zu tragen hatte. Das er im Juli 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten ist und eine fast dreijährige Leidenszeit als Häftling und Zwangsarbeiter erdulden musste. Niemand von uns kann sich heute vorstellen, was es bedeutet hat, eine solche Zeit durchzustehen, um dann nur wenige Tage vor Kriegsende doch noch sein Leben zu verlieren. Leider war es bis jetzt trotz der aufgefundenen Kriegsgefangenen – Erkennungsmarke nicht möglich ihm seinen Namen zurück zu geben und wir wollten ihn heute als unbekannten sowjetischen Kriegsgefangenen bestatten. Dieser Tag soll uns aber auch Ansporn und Verpflichtung sein, die Erinnerung zu bewahren, sowie die Suche und Recherchen fortzusetzen. Die Beisetzung als bis jetzt unbekanntes Opfer des Krieges ist zwar heute, aber der Grabstein ist noch nicht beschriftet. Und für die Beschriftung des Grabsteins hätte ich eine Idee. Woher ich diese Idee habe, möchte ich ihnen mit einer kleinen Geschichte erzählen. Am vergangenen Wochenende war unser Verein zu einem Grabungseinsatz in Alt Tucheband an den Seelower Höhen, bei dem wir neunundzwanzig sowjetische Soldaten bergen und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge übergeben konnten. Mit dabei waren russische Freunde aus Moskau, Jaroslaw aus der Ukraine , Eduard Tuchin von unserem befreundeten Verein „Obelisk", sowie ein Vertreter der russischen Botschaft. Gemeinsam haben wir an der Grabung gestanden und auch über Westerhausen gesprochen. Wie können wir an neue Erkenntnisse gelangen – wie können wir weiter forschen und Eduard sagte zu mir, wenn noch jemand etwas hat, dann vielleicht die Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden. Am vergangenen Mittwoch hatte ich dann ein langes Telefonat mit Frau Krajuschnikow von der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Ich habe ihr unser Anliegen geschildert, das wir versuchen die Erkennungsmarke STALAG XXI C 13557 zu entschlüsseln, das heute die Beisetzung ist und das wir den Grabstein ungern mit dem Wort „unbekannt" beschriften möchten. Und Frau Krajuschnikow hat mir etwas vorgeschlagen und mich auf eine Idee gebracht. Warum schreiben wir als Geburtsdatum nicht den 29. Juli 1904. Als Geburtsort könnten wir schreiben Sloboda – Nikolajewska. Wir könnten schreiben, dass er Soldat des 203. Schützenregimentes gewesen ist und das er am 17.Juli 1942 bei Millerowo in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Und wenn dann noch Platz auf dem Stein ist, könnten wir schreiben, das er Landarbeiter war, das sein Vater Andrej und seine Mutter Jewdokia hießen und er vermutlich mit Antonida verheiratet war. Und ganz oben drüber könnten wir den Namen schreiben PETR BONDARENKO ! Das finde ich ist eine tolle Idee. Und wenn die Deutsche Dienststelle in Berlin dieses an Hand der bei der Stiftung Sächsische Gedenkstätten vorliegenden Unterlagen bestätigt, dann machen wir das so! Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit großer Wahrscheinlichkeit bestatten wir heute keinen unbekannten sowjetischen Soldaten, Kriegsgefangenen und KZ-Häftling, sondern einen Menschen, der den Namen Petr Bondarenko trug. Ich bitte Sie um eine Gedenkminute für Petr Bondarenko . Stefan Nowack Geschäftsführer VBGO e.V.